Vereinsgeschichte
Verein
Alte Tradition mit neuen Erkenntnissen
Von Thomas Schmidt
Ein seltenes Jubiläum begehen Gelenaus
Ringer in diesem Jahr. Sie feiern ihr 125-jähriges Bestehen und hatten sich
deshalb zur 750-Jahr-Feier ihres Heimatortes herausgeputzt.
Gelenau Als die Zweikämpfer das
Ringerlied schmetterten, blieben die Besucher des Festumzuges verdutzt
stehen. Solch einen stimmgewaltigen Männerchor hatten sie nicht erwartet,
obwohl sie bereits neugierig verharrten, weil sich die heutigen Protagonisten
in ungewöhnliche Monturen hüllten. Ziel war, das historische Foto von 1903
nachzugestalten – 120 Jahre nach dessen Aufnahme. „Ich glaube, das ist uns
echt gut gelungen“, so der heutige Vorsitzenden des RSK „Jugendkraft 1898“
Gelenau, Jens Fischer. Dies war nur ein Teil des Exkurses in die Geschichte
des Ringens in Gelenau, die inzwischen fünf Vierteljahrhunderte anhält und
viele Ereignisse bereithält. Einige sollen an dieser Stelle in Erinnerung
gerufen werden.
Ringen in Gelenau – 1898 gegründet, 2023
nicht aus der Gemeinde wegzudenken. Und doch gab es trotz zahlreicher
Berichte und Veröffentlichungen Lücken in der geschichtlichen Aufarbeitung
dieses für den Ort so bedeutsamen Zweikampfsports. Eine ganz wichtige wurde
2018, also erst 120 Jahre nach der Gründung des Vereins, geschlossen. Nämlich
die zu dem Menschen, der das Ringen tatsächlich nach Gelenau gebracht hatte.
Durch Veröffentlichungen in der „Freien Presse“ in Bezug auf Recherchen des
Ortschronisten Dr. Olaf Tautenhahn sind sogar Bilder vom Begründer des Ringkampfsports
in Gelenau gefunden worden: Er hieß Max Bruno Harzer. Ihm und den 15
Gründungsmitgliedern, die mitsamt der Registrierung durch die Königliche
Amtshauptmannschaft Annaberg mit Eingangsstempel vom 17. Februar 1898
hinterlegt worden sind, darf die „Geburt des Ringkampfsports in Gelenau“
zugeschrieben werden. Als erste Trainingsstätte diente der Oberboden der
Fleischerei Richter. Matratzen und Decken hielten damals als Matten her. Max
Uhlig erkämpfte im Gründungsjahr die erste Urkunde. Sie ist auf den 3.
September 1898 datiert.
Das Können der Athleten entwickelte sich
rasant. Dies war einer der Gründe dafür, dass sie nach besseren
Übungsmöglichkeiten suchten. Erfolgreich, denn am 12. Juli 1908 wurde ein
neues Trainingsdomizil eröffnet. Danach schrieb die Gelenauer Zeitung in
ihrer Ausgabe vom 15. Juli 1908: „Am Sonntag und Montag feierte ...
obengenannter Klub die Weihe seines Licht-, Luft- und Sportbades unter
zahlreicher Beteiligung auswärtiger Athleten.“ Die Botschaft enthielt den
Wunsch, dass der alte Athletenspruch zur Wahrheit wird: „Kühn der Geist,
kernig der Leib, kraftvoll die Tat, kunstvoll die Form.“ In der Art ging es
weiter, bis in der Zeit des Ersten Weltkriegs der Sport zeitweilig zum
Erliegen kam. Doch bereits 1919 wurde neu begonnen. Viele Unterlagen sind aus
dieser Zeit nicht verfügbar. Wenig später aber rückte Gelenau mit einem
historischen Kampf in den Blickpunkt. Im „Hirsch“ kämpfte 1927 die
Jugendkraft gegen Berolina Neukölln, in deren Reihen Werner Seelenbinder
brillierte, dessen Namen später die Betriebssportgemeinschaft trug. Mitte der
1920er-Jahre hatten Arbeiter zudem mit ihren Anteilscheinen den Bau des
Volkshauses finanziert, das zwischen 1926 bis 1928 entstand. Noch heute ist
es die Trainingsstätte für die Ringer. Dadurch nahm dieser Sport im
Strumpfwirkerdorf erneut einen Aufschwung – zwischen 1928 und 1932 gewannen
Gelenaus Männer fünfmal Sachsens Mannschaftsmeisterschaft in Folge.
Dann die Zeit des Faschismus: „Unser
Sportklub wurde verboten“, hieß es. Doch dies stimmt nur bedingt. Zwar gibt
es ein Verbot, datiert auf den 3. Mai 1933, doch umgehend trat ein anderer
Verein an. Denn ein Zeitungsbericht vom 15.10.1935 überschrieb: „Die
Gelenauer Ringer in Hochform!“ Die 1. Mannschaft bezwang Gornsdorf 17:2, die
2. Mannschaft fertigte Buchholz 17:3 ab.“ Nach Ende des Zweiten Weltkrieges
gab es eine Meldung an den Kreispolizeileiter in Annaberg, datiert auf den
13. Juni 1946, dass „der Sportklub Jugendkraft mit 55 Mitgliedern am 26. Juni
1945 aufgelöst wurde“. Doch erneut gab es umgehend Ersatz – und 1949 kämpften
sich die Gelenauer wieder in die höchste Kampfklasse, was sie 1963 und 1975
nochmals schafften. Speziell im griechisch-römischen Stil erwarben sie sich
enorme Fertigkeiten. Noch 1949 wurde Erich Hofmann Ostzonenmeister, 1953 und
1954 wiederholte er diese Erfolge. 1951 gewann der später langjährige
Übungsleiter Kurt Rieß das Turnier bei den Weltfestspielen in Berlin. 1956
vereinigten sich schließlich die damaligen Betriebssportgemeinschaften
„Empor“ und „Fortschritt“ zur BSG „Werner Seelenbinder“ Gelenau. Nachdem
bereits Anfang der 1930er-Jahre Länderkämpfe gegen Frankreich, Ungarn und
Österreich in Gelenau ausgetragen worden waren, prägten ab den 1970er-Jahren
vor allem die Duelle mit Trinec (CSSR) und Chorzow (Polen) die Szenerie. 1972
folgte der bedeutendste Erfolg für einen Gelenauer: Jürgen Hähnel, der zuvor
zum Sportclub Leipzig delegiert worden war, schaffte es am 30. April im
polnischen Katowice, als Europameister die Matte zu verlassen. 2022 erzielte
Daniel Franke im bulgarischen Plovdiv mit dem Weltmeistertitel der Veteranen
einen weiteren bemerkenswerten Titel.
Basis des Ganzen war die
Nachwuchsarbeit. „Die Kleinsten sind bei uns die Größten“, hatte 1973 das
„Sportecho“ getitelt. Mit dem 1970 erteilten Status eines Trainingszentrums
wurden die Talente an die Kinder- und Jugendsportschulen delegiert. Obwohl
demzufolge stets die Besten ihre Heimat verließen, stand der Verein nie ohne
Männermannschaft da. Dies hatte seine Ursachen auch darin, dass sich Gelenau
anderweitig auszeichnete. Etwa, als das Ringen für die Jungs zum
obligatorischen Sportunterricht in der Schule gehörte. Oder, weil 31-mal
Werner-Seelenbinder-Turniere organisiert wurden. Dadurch machten Gelenaus
Ringer den Ort weit über dessen Grenzen hinaus bekannt. 1985 schrieb die
„Junge Welt“: „Gelenau ist das Ringer-Dorf Nummer 1 in der DDR.“ Bis zur
politischen Wende unterstrichen dies 37 Meistertitel und 9 Spartakiadesiege.
Aus Gelenau gingen auch namhafte
Betreuer hervor. Stellvertretend sei Fritz Schubert genannt, der jahrelang
die DDR-Nationalmannschaft betreute und 1968 in Mexiko zwei Olympiasiege
bejubeln durfte. 1988, buchstäblich in den letzten Atemzügen der DDR, ging
ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Der Anbau einer Trainingsstätte an das
Volkshaus brachte den Ringern, die selbst kräftig Hand anlegten, bessere
Übungsbedingungen, die bis heute anhalten. Und am 27. Mai 1990 wurde – wie
sollte es anders sein – im Volkshaus der Ringer-Verband Sachsen gegründet –
mit dem Gelenauer Gerhard Oertel als Präsidenten. Kurz zuvor hatten die
Ringer ihre Geschicke selbst in die Hand genommen, sich aus der BSG „Werner
Seelenbinder“ gelöst und ihren Verein unter altem Namen neu gegründet. Erster
Vorsitzender der bundesdeutschen Zeitrechnung war Thomas Schmidt. Es schloss
sich eine rasante Entwicklung an: 1997 Aufstieg in die Oberliga, 1998
Aufstieg in die Regionalliga, 1999 Aufstieg in die 2. Bundesliga. Am 26.
August 2000 endete die Zweitbundesligapremiere in einer Jubeltraube: 13:12
siegte der RSK gegen den RV Thalheim vor 1000 Zuschauern im Sportareal.
Gelenaus Ringerverein zeichnete sich auch stets als Organisator großer
Wettbewerbe aus. Zu den Seelenbinderturnieren waren dies 1999 die Deutsche
Polizeimeisterschaft, 2000 die Deutsche Meisterschaft der Frauen sowie 2015,
2018 und 2023 die Veteranenmeisterschaften Deutschlands.
Aktuell kämpfen die Männer des Ring- und
Stemmklubs „Jugendkraft 1898“ Gelenau in der Regionalliga Mitteldeutschland,
der Nachwuchs nimmt an zahlreichen Turnieren teil. Der Verein zählt derzeit
178 Mitglieder, darunter 86 Kinder und Jugendliche.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)
„Jugendkraft“ 2023: Hinten von links Maik
Schaarschmidt, René Schreiter; 2. Reihe von links Jörg Otto, Lutz Salevsky,
Roland Lämmel, Björn Lehnert, Johannes Mai, Sven Spielmann, Detlef Kolditz;
3. Reihe von links Felix Franke, Sybille Lorenz, Wilfried Richter, Christian
Klotz, Rico Richter, Lucas Kästel, Carsten Einhorn, Jens Emmrich, Hans-Georg
Rachner, Jens Fischer; vorn von links Martin Penzis, Martin Stöckel, Pascal
Groß, Thomas Schmidt.
Foto: Heiko Neubert
„Jugendkraft“ 1903: Hinten von links Oskar Emmrich,
Gustav Böhm; 2. Reihe von links Bruno Kreißig, Friedrich Emmrich, Max
Schubert, Paul Reißig, Adolf Harzer, Emil Lohß, Emil Mehner; 3. Reihe von
links Adolf Schubert, Lene Köhler, Max Uhlig, Otto Jung, Paul Richter, Gustav
Melzer, Max Lohß, Albert Markert, Gastwirt Karl Köhler, Max Knobloch; vorn von
links Max Weinhold, Paul Pfau, Adolf Klaus, Paul Klaus.
Foto: Archiv RSK Gelenau